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Aaah! Verdammt, wer klopft denn da in aller Nacht schon an die Tür?! Was? Wer? Ach, Sie sind's, Frau Müller? Schon sieben?! Ich werd' verrückt! Jaja, ich steh' schon auf, wenn mir nur nicht der Kopf so brummen würde. - Morjen, Frau Müller! Wie's war? Pfundig, pfundig! In Leinefelde fing's schon an. Vier junge Burschen stiegen ins Abteil und ließen sogleich die Schnapsbuddel kreisen. In Beuren und Bodenrode wartete eine ansehnliche Menschenmenge. Eine unternehmungslustige Bäuerin meinte augenzwinkernd: "Jetzt haben wir noch Zeit zum Feiern". Da kann man wohl behaupten, der Heiligenstädter Rosenmontag warf seine Schatten bis weit über die Stadtgrenzen hinaus. Hier drängte und zwängte sich dann ein langer Menschenstrom durch die Sperre. Hie und da entdeckte man sogar ein Kostüm. In der Bahnhofsvorhalle sichteten wir den ersten vorfristig Betrunkenen! Naja, Frau Müller, das andere wissen Sie ja selbst. Flotte Karnevalsweisen, erwartungsfrohe Bürger, Tausende waren auf den Beinen und bevölkerten vor allem die Karl- Marx- StraBe. Gegen 13 Uhr hatte der berühmte Apfel Mühe, auf die Erde zu fallen. Endlich kam der große Augenblick. Der närrische Hofstaat näherte sich. Ein prächtiges Bild. Der Elferrat trat auf die Rathaustreppe, der Bürgermeister wurde abgesetzt. Prinz Karneval übernahm die Herrschaft. Wie hat Ihnen übrigens die Prinzessin gefallen? Einfach süB, nicht? Und die Prinzengarde, dufte, dufte. Unser Fotograf ist ein ganz Schlauer, der setzte sich einfach inzwischen auf die Kutsche Seiner Hoheit und knipste. Na, und dann der Umzug! Ehrlich gesagt, das hatte ich nicht erwartet. So mancher Rippenstoß wurde da spazierengefahren. Gab das ein Gaudi. Danach nahmen wir ausnahmsweise mal die Arbeit auf die leichte Schulter; was manchem einen schweren Kopf einbrachte. Derart seelisch und moralisch vorbereitet stürzte ich mich am Abend mit beiden Beinen in das tolle Heiligenstädter Faschingstreiben. Ein sogenanntes allgemein typisches Beispiel begegnete mir alsbald in einer Gastwirtschaft. An unserem Tisch saßen mehrere ältere Herrschaften, alle bunt behütet; sehr lobenswert. Wir gerieten schnell ins Gespräch. Natürlich unterhielten wir uns auch über den Rheinischen Kameval. Da kommen wir nicht mit, war unsere einstimmige Meinung. Der Dame mit dem großen bunten Strohhut neben mir entrang sich dabei der tiefe Stoßseufzer: "Ja, ja, die 'sturen' Heiligenstädter!" Im gleichen Atemzuge erblaßte sie: neue Gäste traten ein, höchstwahrscheinlich gute Bekannte von ihr. Mit einem Schreckensschrei riß sie ihre närrische Kopfbedeckung vom Haupte und verbarg sie verschämt unter dem Tisch. ,"Du mein Gott, wenn die mich mit dem Hut sehen, ist es morgen in der ganzen Stadt 'rum!" Ja, ja, die 'sturen' Heiligenstädter! Besonders nett fand ich es in der Oberschule. So mancher ergriff die Gelegenheit beim Schopfe und nahm Nachhilfeunterricht im Gebrauch der Kußfreiheit. Ich möchte nicht die Freiwiliigen zählen, die sich begeistert zum 'Nachsitzen' meldeten. Irgendwo zwischen Bier- und Schnapsgläsern lag einsam der 'Rathausschlüssel'. Hoffentlich hat ihn nicht in vorgerückter Stunde eine eifersüchtige Gattin als Ausklopfer ausgeliehen, MaB und Gewicht waren ja danach! Als ich im Morgengrauen mit erstaunlicher Treffsicherheit den Haustürschlüssel ins Schloß stieß, schaute mir vom gegenüberliegenden Giebel ein Käuzchen über die Schulter. Es rief immerzu "Prosit". Komisch. Dabei dachte ich an alle die, die nur Zaungast spielten, den anderen aber Sturheit vorwarfen. Komische Käuze. Aber schön war's doch! Wenige Stunden nach diesem Monolog ernes Ex- Narren vor dem Rasierspiegel gewährte uns seine Hoheit, Prinz Karl I., huldvoll eine Unterredung. Der Prinz gab seiner Genugtuung über den Verlauf der drei tollen Tage Ausdruck. Alle seine Erwartungen wurden übertroffen, versicherte er uns. Seine Hoheit sind entzückt von der fabelhaften Schaufenstergestaltung, den vielen Kostümen, dem Hochbetrieb in allen Gaststätten, vor allem aber von dem sehr regen Gebrauch der Kußfreiheit. Mit der Anteilnahme der Närrinnen und Narren am Rosenmontagszug ist der Prinz jedoch nicht zufrieden. Im Rheinland würde auch auf der StraBe tüchtig mitgeschunkelt. Eine Tatsache, die wir uns zu Herzen nehmen sollten. Dem Elferrat des nächsten Jahres wünscht der oberste aller Narren eine noch bessere Unterstützung, nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht seitens der Bevölkerung. Dann wird es u.a. auch möglich sein, die Kapellen zu verstärken. Viele Diskussionen gab es, weil die Prinzessin keine "Eingeborene" ist. Dazu bemerkte Karl I., daß den Eichsfelder Bekleidungswerken die Ehre zuteil wurde, die Prinzessin zu stellen, weil dieser Betrieb den Löwenanteil an der Ausgestaltung der Festwagen hatte. So fiel die Wahl auf Ihre Lieb!ichk!eit, Inge I., denn hübsch mußte sie schließlich sein, und das ist sie! |
Das Volk, Februar 1957