H e i l i g e n s t a d t (tt). Lachend schaute die helle Frühjahrssonne am Rosenmontag auf das närrische Völkchen, das sich zum Teil buntbemützt und in lustigen Karnevalskostümen - vor allem die Kinder hatten sich "verkleidet" vor dem Heiligenstädter Rathaus versammelt hatte, um Seiner Tollität Prinz Karl I. nach der Übergabe der Stadtgewalt durch das Stadtoberhaupt zu huldigen. Schon am Vormittag herrschte Betrieb in der Heiligenstädter Hauptstraße. Verschiedene Betriebe arbeiteten an diesem Tage nicht. Die übrigen, auch die Verwaltungen und die Geschäfte, hatten schon um 12 Uhr geschlossen. Immer dichter wurden die Menschenmassen. Aus allen Fenstern in der Nähe des Rathauses und später in der Karl-Marx-Straße hingen Menschentrauben, ja sogar auf die Dächer der Häuser beim Rathaus hatten sich vorwitzige Jugendliche gewagt.
Pünktlich um 13 Uhr näherte sich von der Lindenallee her durch die Ratsgasse der feierliche Zug, der das Prinzenpaar zum Rathaus brachte. Herolde hoch zu Roß und der Fanfarenzug der Prinzengarde in seinen schmucken gelben Uniformen, der "Möhrenkönig" in seiner Kutsche mit Krone und Purpurmantel, im Arm eine Riesenmöhre, (Onkel "Jojo" war es, der hier als Repräsentant der "Möhrenkönige" auftrat), dann der Elferrat, angeführt von dem Zeremonienmeister, begleiteten das Prinzenpaar in der Galakutsche. Auf einer Tribüne vor dem Rathaus empfing Bürgermeister Jünemann im feierlichen Schwarz mit Amtskette und Zylinder das hohe Paar. In einer launigen Ansprache übergab er dem Prinzen Karl I. als Zeichen der Machtübernahme einen Riesenschlüssel und wünschte dem friedlichsten Volk der Welt, den Närrinnen und Narren, viel Freude und Frohsinn. Prinz Karl I. im himmelbauen Prinzenmantel übernahm für die Fastnachtstage die Gewalt und Herr schaft im Narrenstaat, und erließ seine Proklamation, in der den Spießern und Trübsalblasern der bitterste Kampf angesagt wurde. Nach der Vorstellung des Ministeriums durch den Hofmarschall wurden die Gesetze, die für das närrische Leben und Treiben erlassen waren, verkündet. Sie waren nicht schlecht, die Gesetze des Narrenstaates, und unsere Jugend wird wahrscheinlich vom § 4, der die Kußfreiheit befahl, regen Gebrauch gemacht haben. Halb Heiligenstadt war dann auf den Beinen, und durch die Menschenmauern in der Karl- Marx- Straße war kaum noch durckzukommen (8000 Menschen mögen es gewesen sein), als der Rosenmontagszug begann. Von der Lindenallee durch die Friedrich- Engels- Straße kam er zur Karl- Marx- Straße, in der die Tausende ihn mit Spannung erwarteten. Und dann müssen wir feststellen, was hier die Karnevalsgesellschaft auf die Beine brachte, was hier unter der künstlerischen Leitung von Wolfgang Konrad und von Herrn Heinlein geschaffen war, hat alle Erwartungen bei weitem übertroffen. Uns freut das besonders für die durch keinen Rückschlag entmutigten Heiligenstädter Karnevalisten, die bewiesen haben, daß man auch in Heiligenstadt einen zünftigen und stilvollen Karneval feiern kann. Dem Rosenmontagszug vorangetragen wurde eine große Möhre, das Wahrzeichen unserer Stadt. Auch spielte die Möhre in den Fastnachtstagen eine große Rolle. Sicher gab es nicht viele Heiligenstädter, die sich ohne Möhre auf die Straße wagten, denn ihnen drohte sonst eine fürchterliche Strafe, die Verhaftung durch die Prinzengarde. Herolde und der "Möhrenkönig" zusammen mit der Musikkapelle Hartmann, Gerbershausen, verstärkt durch Kräfte des Kreiskultur- Orchesters, eröffneten den Zug. Lächelnd stand Prinz Karl I. unter dem Baldachin seines Prinzenwagens, winkte seinem närrischen Volke zu und verteilte an seine jüngsten Untertanen zentnerweise Bonbons. Diese Tat eroberte ihm schlagartig die Herzen der kleinen Närrinnen und Narren. Der Wagen Ihrer Lieblichkeit Prinzessin Inge war ein Gedicht in Weiß und Rosen. In ihrer nicht nur von den Frauen bestaunten weißen Festrobe und mit dem Diadem im Haar, dankte sie huldvoll den Grüßen und dem Helau der Massen. Eskortiert wurde ihr Wagen von der Prinzengarde, lauter hübschen Mädchen, die das Bekleidungswerk - das auch den Prinzessinnen- Wagen geschmückt hatte - mit kurzen weißen Röckchen und blauen Uniformjacken ausgestattet hatte.
Die Stimmung der Zuschauer war auf dem Höhepunkt, überall schallte Lachen, Singen und das freudige Helau. Und dann die übrigen Festwagen und das "Fußvolk". Leider erlaubt es uns der zur Verfügung stehende Platz nicht, ausführlich alles zu beschreiben. Viele Dinge, die manchmal die Gemüter der Einwohner in den letzten Jahren erregt hatten, waren treffend aufgespießt. Ein Wagen mit dem Kulturhaus, mit der Sprungschanze am Iberg, mit dem Lorenz-Kellner- Denkmal trafen ins Schwarze. Der VEAB hatte eine Wurstmaschine gebaut, in die man auf der einen Seite ein lebendes Schwein hineinsteckte und auf der anderen Seite bereits die fertigen Würste in Empfang nehmen konnte. Auch die Oberschule und die Grundschule brachten prächtige Dinge. Sie alle waren mit dem Herzen dabei, um einmal in Ausgelassenheit den Mitmenschen einige frohe Stunden zu bereiten. Eine feine Geste der Karnevalsgesellschaft aus unserem Nachbarort Uderanien erlebten wir, die ihren Prinzen und ihre Prinzessin zur Begrüßung des Heiligenstädter Prinzenpaares nach Heiligenstadt entsandt hatten. Vor dem Rathaus hielt der Rosenmontagszug und hier entbot Prinz Karl I. von Uderanien mit der Prinzessin Helga seinem Amtsbruder Prinz Karl I. dem Möhrenkönig und Prinzessin Inge die herzlichsten Grüße der "Ossenritter". Wir nehmen diesen Akt als gutes Omen der Zusammenarbeit in den nächsten Jahren.
Fast eine Stunde dauerte der erste große Rosenmontagszug in Heiligenstadt. Den ganzen Tag über herrschte auf den Straßen der Stadt ein buntbewegtes Treiben. Überall, wo das Prinzenpaar und der Elferrat erschienen, wurden sie begeistert aufgenommen. Am Abend auf den Kostümbällen in der Aula der Oberschule und im "Eichsfelder Hof" feierte alles noch einmal mit Prinzenpaar, Prinzengarde und Elferrat in oft lebensgefährlichem Gedränge den Karneval, den Abschied von weltlichen Lustbarkeiten, ehe die Fastenzeit beginnt.
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