Rede Prinz Paul I.Meine lieben Möhrenkönige,       liebe Freunde des Karnevals! Da bin ich nun, Prinz Paul der l., von dieser Stunde an Herrscher über die Stadt, Oberhaupt aller Närrinnen und Narren, Unterdrücker aller Mießmacher und Trauerklösße, Förderer der Freude und der Schönheit. In meinem Horoskop heißt es, daB ich eines Tages viel närrisches Volk um mich haben werde, welches mich zu ihrem Obernarren macht und an deren Spitze ich viele ausgelassene Tage erleben werde. Das Horoshop hat sich bestätigt, denn ich sehe, voller Genugtuung wie sehr mir das Volk zu Füßen liegt. Erst jetzt als Prinz muß ich mit Überraschung feststellen, wieviele schöne Frauen und Mädchen in unseren Mauern wohnen. Als ein Verehrer weiblicher Schönheit spreche ich alle Anwesenden Närrinnen mein höchstes Kompliment aus. Ja, und weil ihr so schön seid wie die Lotosblüten, werdet ihr besonders in den nächsten Stunden und Tagen von den Männern und Jünglingen umschwärmt sein. Meine Gesetze beinhalten u.a. die Kußfreiheit. Und wie ich die Heiligenstädter Männer - und die, die es bald werden wollen - kenne, legen sie ihren Rüssel, Schmetterlingen gleich, nicht nur alle zu gern an den Rand eines gefüllten Bierglases, sondern auch an den roten kelchartigen Mund einer solchen Lotosblüte. Da es aber nicht nur männliche, sondern auch weibliche Schmetterlinge gibt, empfehle ich meinen weiblichen Untertanen, sich selbst ihren Nektar zu suchen und nicht den Männern allein die Wahl zu überlassen. lch selbst habe meine Wahl bereits getroffen and kann euch an meiner Seite Prinzesin Inge, die II., vorstellen Ihre Schönheit verdankt sie ihrem immerwährenden Lächeln, ihrem humorvollem Wesen, ihrer Freundlichkeit, dem schwarzen Kaffee und meiner Nähe. Wollt ihr, liebe Närrinnen und Narren, schön bleiben, dann lacht in den nächsten Tagen aus vollem Herzen, seit fröhlich und ausgelassen, trinkt nicht nur Alkohol, sondern manchmal auch schwarzen Kaffee und haltet euch stehts in der närrischen Atmosphäre eures Prinzens auf. Mögen alle, die jetzt noch Zuschauer sind, Mitwirkende am Heiligenstädter Karneval werden. Ach, es ist so leicht, fröhlich zu sein; man braucht nur mitzusingen, zu schunkeln, zu tanzen. Leider ist es mir nicht vergönnt, im großen Festumzug durch die Straßen zu ziehen, denn einige Allgewaltige verschiedener Betriebe unserer Stadt haben bereits vor meiner Machtübernahme Ihre eigene fröhlichheit zu Grabe getragen. Für dieses Begräbnis der guten Laune brauchten sie die Festwagen und konnten sie deshalb für den Umzug nicht zur Verfügung zu stellen. In ihrem Herzen ist der letzte Funken für Freude und Frohsinn erloschen und deshalb trifft sie von hier aus der Pfeil der Mißbilligung der Heillgenstädter Möhrenkönige. Das wir aber trotzdem die Büttenabende, Tanzveranstaltungen, Kostümfeste und die noch folgenden bunten Stunden verleben durften, verdanken wir nicht zuletzt den närrischen Ministern, die mich in meiner Amtsausübung tatkräftig unterstützen. lch bitte daher meinen Hofmarschall, euch einmal die Minister vorzustellen. Meine lieben Möhrenkönige ! Ein gewitzter Zeitungsreporter hat ausfindig gemacht, daß bereits im Jahre 1325 in unserer Stadt Karneval gefeiert wurde. Diese Tradition wollen wir weiter hegen und pflegen, damit wir uns unserer Ahnen nicht zu schämen brauchen. Ich habe daher Gesetze erlassen, die uns vor Spießern und Querulanten schützen und gleichzeitig das Recht auf Freude und Frohsinn einräumen. Mein Hofmarschall wird euch jetzt die Gesetze vorlesen, deren Befolgung ich ab sofort von euch fordere. ----- Liebe Närrinnen und Narren, liebe Karnevalsfreunde! Nun könnt ihr beweisen, daß ihre keine Freunde von Traurigkeit seid. Stürzt euch hinein in das bunte Treiben des Karnevals, dem Fest der Lebensfreude, des Frohsinns und der tausend Küsse. Stimmt mit mir ein in den Ruf: Unser geliebtes närrisches Heiligenstadt - ein dreimaliges -      Heiligenstadt Helau! |
Thüringer Tageblatt, Februar 1959